"Gott nahe zu sein ist gut für mich ..."  Psalm 73,28




Die neue Wirklichkeit. Predigt über 2. Korinther 4,14-18 am Sonntag Jubilate
„…wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“
Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Jubilate heißt dieser Sonntag. Jubelt! „Ich muss bei diesem Wort an die Überschrift eines Berichtes denken, der mir in diesen Tagen unter die Augen gekommen ist: „Erster Meistertitel macht Fans und eine ganze Stadt glücklich. Bayer 04 sorgt für Euphorie in Leverkusen.“ Die Bilder aus den Nachrichten bestätigen diese Schlagzeile, sie zeigen vor Glück weinende Männer und Frauen, die sich in den Armen liegen und eine Stadt im Freudentaumel. Jubilate! Jubelt! Ob wir nun sportbegeistert sind oder nicht, vielleicht ahnen wir, wie das aussehen kann, wenn ein Volk im Freudentaumel ist. „Unbändige Freude will sich mitteilen und überspringen, Herzen in Brand setzen. Alle sollen aufmerksam werden. Aufmerksam und neugierig!
Jubliate! Jubelt Gott zu! Dazu will uns der Sonntag ermutigen. Was ist der Grund dafür? Es geht nicht um einen Meistertitel. Es geht um etwas viel unbegreiflicheres. Seit zwei Wochen geht ein  unglaublicher Jubelruf durchs Land. Er will ein freudiges Echo in unseren Herzen auslösen: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden, halleluja!“ Ob Jesus heute etwas neidisch ist auf Xabi Alonso und sein Team? Die Christen tanzen jedenfalls nicht auf der Straße und sie liegen sich auch nicht den Armen, obwohl sie eigentlich allen Grund dazu hätten. Ist die Freude auf der Strecke geblieben? Ist die Gute Nachricht nicht angekommen in unseren Herzen? Oder haben wir  uns einfach nur an die Botschaft gewöhnt, die seit 2000 Jahren um die Welt geht? Jedenfalls bricht kein Jubel mehr aus, wenn wir sie hören. Zum Jubel und zu Begeisterung gehört aber, dass man sich anstecken lässt von der Freude, dass man sich mitreißen lässt, wie beispielsweise  beim Sieg nach dem Fußballspiel.
Paulus konnte sich freuen. Obwohl er doch eigentlich allen Grund gehabt hätte, zu schmollen, sich zurückzuziehen. Da gab es Streit in den Gemeinden, an denen doch sein Herz hing. Seine Autorität wurde angezweifelt. Er erfüllte nicht die Erwartungen, die man von einem Apostel hatte. Er war kein begnadeter Prediger. Massen konnte er auch nicht mobilisieren. Er war krank, vielleicht sogar von Schuldgefühlen bedrückt. Schließlich gab es in seiner Biographie eine dunkle Vergangenheit, in der er Christus regelrecht verfolgt hatte. Am Ende wurde er um des Glaubens willen selbst ins Gefängnis geworfen. Dennoch konnte er sich freuen. Unbändig sogar. Immer wieder schreibt er von der Freude, die aus dem Glauben kommt und die auch vor Gefängnismauern nicht Halt macht. Es war die enge Verbindung mit Christus, die ihn ausfüllte.
Im 2. Brief an die Korinther schreibt der Apostel von seinem Glauben. Er sagt: „Wir haben einen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen…“ Er vergleicht sich selbst mit einem  Tonkrug. Ich stelle mir darunter Gefäß vor, das durch den jahrelangen Gebrauch abgenutzt und recht unansehnlich  geworden ist. Der Henkel ist abgebrochen. Die aufgemalten Muster sind verblichen. Da ist ein häßlicher Sprung, vielleicht ist der Krug einmal heruntergefallen. Nein, schön ist er nicht mehr. Der Materialwert ist gleich null. Wertvoll hingegen macht ihn etwas anderes. Der Krug, das ist der Apostel mit seiner Lebensgeschichte. Der Leib trägt deutliche Spuren des Verfalls. Unendlich wertvoll ist das, was in ihm wohnt. Das ist der Glauben an Jesus Christus, den Auferstandenen. Im Brief an die Galater schreibt Paulus: „Nun lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. (Galater 2,20)
Christus ist der Schatz. Er hat Einzug gehalten in sein Herz, in sein Leben, in sein ganzes Dasein. Christus, mit allem, was er für Paulus geworden ist, Richter, Erlöser, Heiland, Heilbringer lebt und wirkt durch ihn. Der Glaube ist nicht nur ein Teil von Paulus. Der Glaube lebt in ihm, er füllt ihn aus. Aus dieser innigen Christusbeziehung heraus lebt Paulus. Und aus dieser Beziehung heraus kann er nun auch den Korinthern die folgenden Worte schreiben: „Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (Lutherbibel 2017, herausgegeben von der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart)
Es kommt auf die Sicht der Dinge an. Schaue ich nur auf das Äußere, auf den schäbigen Tonkrug? Dann habe ich keinen Grund, um in den Jubel einzustimmen, der durch die Welt geht. Ich sehe nur die Vergänglichkeit, die Fehler, die Splitter und Sprünge. Oder schaue ich auf das Geheimnis, das das „irdene Gefäß“  in sich birgt. Es kommt darauf an, was ich im Herzen habe, wofür mein Herz schlägt. Ich denke, Paulus schaut mit den Augen des Herzens. Vielleicht schaut auch Christus durch ihn und für ihn. So wird alles neu bewertet, die Menschen in der Gemeinde, sein Leben, die Höhen und Tiefen darin. Die Bedrängnis wird wahrgenommen. Aber es wird auch wahrgenommen, dass sie endlich ist. Der Verfall wird wahrgenommen. Aber auch die Erneuerung. Das Leid wird wahrgenommen. Aber auch die Hoffnung, die das Leid umfängt. Das, was vor Augen ist, wird wahrgenommen. Aber auch, was dahinter steht. Paulus ist nicht weltfremd, gewiss nicht. Er kann seine Lebenssituation realistisch einsetzen. Er nimmt den Verfall wahr. Paulus war wohl ein sehr kranker, ein von Leiden und Schmerzen buchstäblich geschlagener Mann. (2.Korinther 12,7).  Die Kritik seiner Gegner macht ihn zu schaffen und ebenso die Enttäuschung, dass sich viele von ihm abwenden. Es ist nicht so, dass ihn das alles nichts ausmacht. Aber es gibt nicht mehr den Ton an in der Lebensmelodie. Das macht Christus. Der gibt den Ton an. Paulus lebt mit Christus und wird bestimmt von dem neuen Leben der Auferstehung, vom österlichen Leben, das den Tod bereits besiegt weiß, obwohl er doch noch scheinbar so mächtig ist.
Die Worte aus dem 2.Korintherbrief, über die wir heute nachdenken, sind keine Ergüsse aus philosophischen Diskussionen oder theologischen Überlegungen. Der Glaube ist keine Theorie, über die man diskutiert. Der Glaube will erfahren, erlebt und gelebt werden. Was Paulus schreibt, hat er selbst erlebt. Er weiß, dass Christus in ihm lebt. Lebt Christus aber auch in uns, mit allem, was er für uns getan hat? Lassen wir ihn Wohnung nehmen in unserem Herzen? Setzen wir unser Vertrauen, unsere Hoffnung ganz auf ihn, auf sein Leben, Sterben und Auferstehen? Ist er unser ein und alles, oder ist der Glaube nur ein Teilchen davon, neben vielen anderen? Ich möchte Sie dazu ermutigen, eine Beziehung zu Jesus Christus aufzubauen. Lassen Sie Christus in ihr Leben. Das geht ganz einfach. Sagen Sie ihm, dass Sie mit ihm leben möchten. Dass ihr Herz für ihn offen steht. Sagen Sie ihm ruhig, dass Sie glauben möchten, auch, wenn es Ihnen im Augenblick schwer fällt. Das ist das einzige Wagnis, auf das Sie sich einlassen müssen. So wie man es wagen muss, die Haustür zu öffnen, wenn es läutet. Glauben Sie mir, Sie werden die Veränderung in Ihrem Leben spüren, wenn er eintritt. Vielleicht braucht es seine Zeit. Aber sie werden es erfahren, wie es Paulus erfahren hat. Sie werden mit der Zeit eine neue Sicht der Dinge wahrnehmen. Vor allem aber werden sie spüren, dass die Beziehung tragfähig ist. Sie wird sie tragen, die Verbindung mit Christus. Das ist die Herrlichkeit, die über die Maßen ist. Es ist die Herrlichkeit des Glaubens, der auf einmal weiß, dass  nicht nur das Leben sondern auch die Leiden dieser Zeit endlich sind. Nicht der Tod schafft die Realität sondern das Leben. Christus schafft die Realität, die sich nicht mit Zahlen und Fakten belegen lässt. Er ist wahrhaftig auferstanden. Das hilft zu einer Neubewertung des eigenen Lebens. Der Auferstandene zeigt den Jüngern die Wunden, dann isst und trinkt er mit ihnen. So bildet er ab, was sie und was wir zu erwarten haben. Das Leben in Fülle, nicht den Tod.
Der äußere Mensch verfällt, er wird älter und stirbt, früher oder später. Aber der innere wird täglich erneuert. Es ist die Hoffnung, die ihn erneuert. Es ist der Glaube, es ist Christus, der in uns wohnt. Er gibt uns die Kraft, den Mut und die Freude, um sich anstecken zu lassen von dem Jubel, der seit Ostern über dieser Welt liegt. Jubilate, ja, jauchzet und jubelt, alle Welt. Jubelt und tanzt dem Leben entgegen, das auf euch wartet. Amen.
© Pfarrer Stefan Köttig, Altenstein (21.4.2024)